Unterschiedliche Auswirkungen
Die VITH verfolgt drei Ziele: Integrität, Transparenz und Weitergabe. Die Integritätspflichten sind auf verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt. Demgegenüber gelten die Transparenzpflichten für alle Heilmittel, einschliesslich Medizinprodukte. Lediglich Medizinprodukte der niedrigsten Risikoklasse und freiverkäufliche Arzneimittel sind ausgenommen. Die Pflicht zur Weitergabe von Rabatten und anderen Vergünstigungen gilt für alle Arzneimittel der Spezialitätenliste (SL), aber auch für Mittel und Gegenstände, die der Behandlung oder Untersuchung dienen. Ausgenommen sind lediglich Bereiche, bei denen die medizinischen Leistungen über einen kostenbasierten Pauschaltarif abgerechnet werden. Dies betrifft den stationären Spitalbereich, wo die Abrechnung über SwissDRG erfolgt oder im ambulanten Bereich, soweit die Kosten für Arzneimittel, Medizinprodukte oder Verbrauchsmaterialien in den Technischen Leistungen des TARMED einkalkuliert sind.
Die Pflicht zur Weitergabe von Rabatten und anderen Vergünstigungen ist geltendes Recht. Neu sieht die VITH aber auch die Möglichkeit einer teilweisen Weitergabe vor. Damit wollte der Gesetzgeber dem Vollzugsdefizit entgegenwirken. Zudem hoffte er, die Kosten im öffentlichen Gesundheitswesen zu senken und die Behandlungsqualität zu verbessern. Die gesetzgeberischen Anliegen sind nachvollziehbar; bis heute ist die Umsetzung aber ungeklärt und zu viele Fragen sind unbeantwortet.
Ungeklärte Umsetzung
Die Weitergabe von Vergünstigungen betrifft in erster Linie die Leistungserbringer. In den Rechnungen an den Patienten ist das Ausweisen von Rabatten in vielen Situationen nicht möglich oder mit grossem administrativen Mehraufwand verbunden. Bis heute gibt es keine behördlichen Anleitungen wie die Weitergabe durch Leistungserbringer umzusetzen ist. Auch die Branchenverbände sind bemerkenswert still. In der Umsetzung der VITH sind die Leistungserbringer deshalb weitgehend auf sich selber gestellt.
10 Dos and Don’ts für Leistungserbringer
Die nachfolgenden Empfehlungen sind eine Auswahl von Erkenntnissen aus der Beratung durch Streichenberg Rechtsanwälte. Die Empfehlungen sind auf die Bedürfnisse der Leistungserbringer ausgerichtet.
1. Gratisarzneimittel sind unzulässig: Es dürfen nicht mehr Arzneimittel geliefert werden, als dem Leistungserbringer tatsächlich in Rechnung gestellt werden. Gratiszugaben («Bezahle 9, erhalte 10», auch Warenboni genannt) sind verboten. Das Verbot von Naturalrabatten bezieht sich auf verschreibungspflichtige Arzneimittel. OTC und Medizinprodukte sind davon nicht betroffen.
Davon abzugrenzen sind Arzneimittelmuster. Diese sind zulässig, allerdings ist ihr Einsatz stark eingeschränkt. Neu dürfen Muster nur noch in der kleinsten zugelassenen Packungsgrösse und auf schriftliche Anfrage des Arztes geliefert werden. Der Weiterverkauf ist verboten.
2. Preisrabatte: Anders als Naturalrabatte sind Preisrabatte zulässig, sie unterliegen aber der Weitergabe: Um Rabatte weitergeben zu können, sind diese auf den Rechnungen in absoluten Beträgen auszuweisen. Die Weitergabe von Rabatten wird erschwert, wenn prozentuale Ermässigungen auf den Verkaufspreis umgerechnet werden müssen: 15% vom Fabrikabgabepreis sind nicht einfach 15% des Publikumspreises.
Der Weitergabepflicht unterliegen auch die Produkte der MiGeL. Bei Medizinprodukten gibt es aber keinen behördlich festgelegten Einstandspreis. Zu beachten sind dann aber die werblichen Anpreisungen des Lieferanten: Wird ein Produkt mit einem Preisnachlass von 30% ausgekündigt, so unterliegen diese 30% der Weitergabe.
3. Einkauf zu Ex-Factory Preisen ist zulässig, allenfalls aber weitergabepflichtig: Bei Arzneimitteln der Spezialitätenliste ist der Einstandspreis behördlich festgelegt. Der vom BAG festgelegte Fabrikabgabepreis deckt alle Vertriebsleistungen bis zur Rampe des Herstellers in der Schweiz ab. Für alle weiteren logistischen Leistungen fallen zusätzliche Kosten an. Ein Einkauf zu Fabrikabgabepreisen ist deshalb nicht verboten, setzt aber voraus, dass der Leistungserbringer die Arzneimittel beim Hersteller abholt, jedenfalls aber die Kosten für Transport und Logistik übernimmt. Entsprechendes gilt für die Belieferung durch den Grosshändler.
4. Kundenkonditionen (KUKO) sind zulässig, aber weitergabepflichtig: Mit den KUKO übernimmt der Hersteller für einen bestimmten Kunden die Logistikkosten des Grosshändlers. Entsprechend sind KUKO gleich wie Rabatte zu behandeln und unterliegen der Weitergabe. Entsprechendes hatte das Bundesverwaltungsgericht zu den Kundenkonditionen von Galexis bereits 2010 entschieden. Um die Weitergabe umsetzen zu können, ist ein Umrechnen auf die Kosten jedes Arzneimittels erforderlich. Es ist deshalb darauf zu achten, dass der Lieferant die KUKO in der Rechnung betragsmässig ausweist.
5. Umstellungsbeiträge sind zulässig, aber weitergabepflichtig: Entschädigungen für den Wechsel eines Lieferanten sind je nach Ausgestaltung als Rabatt zu qualifizieren. Motiviert sind derartige Entschädigungen durch den mit der Umstellung verbundenen Aufwand: Beim Lieferantenwechsel sind Anpassungen an Soft- und Hardware vorzunehmen, allenfalls sind Lagerbestände zu vernichten. Bereits 2011 hat das Bundesverwaltungsgericht aber entschieden, dass eine Entschädigung für den Umstellungsaufwand mit dem bisherigen HMG nicht zu vereinbaren war. Der Entscheid betraf einen Generika Hersteller, der Ärzten für jedes Arzneimittel eine Entschädigung von CHF 2.50 pro Packung angeboten hatte. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes war dieser Aufwand durch die Marge des Arztes abgegolten. Eine darüberhinausgehende Entschädigung war nicht gerechtfertigt. Deshalb waren Zahlungen für die Umstellung auf einen anderen Lieferanten gleich wie ein Rabatt an die Kostenträger weiterzugeben. Darüber hinaus wurde der Lieferant verpflichtet, seine Abnehmer auf die Weitergabepflicht dieser Zahlungen hinzuweisen.
Diese Rechtsprechung ist nicht auf Arzneimittel beschränkt, sondern gilt sinngemäss auch für Labor- und Röntgenleistungen bzw. die Anbieter entsprechender Dienstleistungen.
6. Generika - Rabatte beeinflussen die Wahl der Behandlung nicht: Nach dem bisher geltenden Vorteilsverbot durfte der Leistungserbringer im Verschreiben oder Abgeben eines Arzneimittels nicht beeinflusst werden. In der Vergangenheit wurde eine Beeinflussung bei Generika mit der Begründung verneint, diese seien mit dem Originalpräparat von Gesetzes wegen austauschbar.
Diese auf die Wahl des Arzneimittels gerichtete Beurteilung hat der Gesetzgeber geändert. Neu sind Rabatte nur dann noch unzulässig, wenn sie die Wahl der Behandlung beeinflussen. Keine Beeinflussung liegt vor, wenn die Rabatte ganz oder teilweise weitergegeben werden. Massgebend für die Beurteilung ist also nicht das Arzneimittel, sondern die Therapie. Für Generika und andere verschreibungspflichtige Arzneimittel gelten somit die gleichen Regeln.
7. Nutzung von Labor- und Diagnostikageräte sowie entsprechender Software in der Praxis, ist unzulässig, sofern diese unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden: Werden Medizinprodukte oder andere der Untersuchung dienende Geräte verschenkt oder unter einem marktüblichen Preis zur Nutzung überlassen, so resultiert daraus ein Vorteil. Dieser unterliegt der Weitergabe. Kein weitergabepflichtiger Vorteil liegt vor, wenn der Empfänger eine marktübliche Miete für die Nutzung der medizinischen Geräte bezahlt. Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit der Miete sind die Anschaffungskosten und die Abschreibungsdauer der Geräte.
8. Entschädigungen für Probenaufbereitungsschritte durch Labore sind zulässig, soweit die Höhe der Entschädigung marktüblich ist. Leistungserbringer dürfen für ihren Aufwand entschädigt werden, wenn sie Leistungen für Dritte erbringen. Die Leistung darf nicht durch den TARMED abgegolten und die Höhe der Entschädigung muss angemessen sein. Angemessen ist eine Entschädigung, wenn für vergleichbare Leistungen dieselbe Entschädigung bezahlt wird.
Sinngemäss gelten diese Anforderungen auch für die Abgeltung anderer Leistungen, wie beispielsweise Datenübermittlung oder Werbekostenzuschüsse.
9. Zuweiserpauschalen können der Weitergabe unterliegen, die Annahme ist Ärzten aber verboten: Provisionen für die Zuweisung von Patienten sind in der VITH nicht geregelt. Derartige Zahlungen können aber den Weitergabepflichten des KVG unterliegen, soweit sie in den Bereich der obligatorischen Krankenversicherung fallen. Voraussetzung ist, dass der Zahlende im Auftrag des Empfängers tätig ist, wie das bei Laboren oder Röntgeninstituten der Fall sein kann. Nicht der Weitergabe unterliegen Entschädigungen für eine echte Gegenleistung des Empfängers. Die Bemessung der Entschädigung hat aber angemessen zu sein.
10. Massnahmen zur Verbesserung der Behandlungsqualität können gegenwärtig noch nicht umgesetzt werden: Die VITH sieht vor, dass Rabatte teilweise zurückbehalten werden dürfen, um Projekte zur Verbesserung der Behandlungsqualität zu finanzieren.
Erforderlich ist eine schriftliche Vereinbarung mit den Krankenkassen über die Verwendung der finanziellen Mittel. Gegenwärtig ist es noch unklar, wie die teilweise Weitergabe umzusetzen ist. Sobald die Branchenverbände entsprechende Vereinbarungen mit den Krankenkassen ausgehandelt haben, können Leistungserbringer entsprechende Projekte zur Verbesserung der Behandlungsqualität umsetzen.
Wichtigste Massnahme im Hinblick auf das Inkrafttreten der VITH ist aber das Prüfen bestehender Verträge. Die VITH tritt am 1. Januar 2020 in Kraft. Die Weitergabepflichten des KVG gelten jedoch bereits seit 1996. An der Pflicht zur Weitergabe von Rabatten und anderen Vergünstigungen hat sich mit der VITH nichts geändert. Bestehende Verträge mit Lieferanten, Laboren und Röntgeninstituten auf ihre VITH-Konformität zu überprüfen.
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